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18.02.2018

Kommunale Mobilitätskosten - ÖPNV: Cola für Alkoholiker?

Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet am 22.2. über die Luftreinhaltungsmaßnahmen der Kommunen. Aber: Was kostet Kommunen der Autoverkehr, ÖPNV und Rad? Eine Studie.

Ein gesalzene Behauptung zur Mobilitätswende kam diesmal vom Kölner Ökonom Axel Ockenfels. Er warnte vor der Annahme, die innerstädtische Luftverschmutzung durch kostenlosen ÖPNV bekämpfen zu können. „Den Nahverkehr kostenlos zu machen, um den Individualverkehr zu verdrängen, ist in etwa so, als ob man Coca-Cola subventioniert, um den Alkoholkonsum zu reduzieren“, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Überzuckerte Getränke des 20. Jahrhunderts sind das eine. Aber was ist nun der Alkohol der Mobilität? „Das Problem ist, dass die Autofahrer ihren Beitrag zur Luftverschmutzung und zur Staubildung nicht berücksichtigen.“ Sie zahlten keine kostengerechten Preise für die Straßennutzung. „Das ist nicht nur ineffizient, sondern auch ungerecht.“ Deswegen soll nicht der ÖPNV günstiger werden, sondern das Autofahren teurer. Und genau das könnte das Problem sein: Autofahren ist eine legale Droge, der man auch bei steigenden Preisen nicht abschwört.

So beeindruckend der Vergleich von Cola und Hochprozentigem auch scheint, so unbeeindruckt sollte man sich doch der Verkehrskosten-Analyse wissenschaftlich widmen.

Das tat jüngst eine vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur geförderte Studie der Verkehrswissenschaft der Universität Kassel von Prof. Dr.-Ing. Carsten Sommer.

„Welche Kosten verursachen verschiedene Verkehrsmittel wirklich?“

In der Zusammfassung: Mobiltät kostet Kommunen Geld - unterschiedlich nach Verkehrsträger -, bringt aber auch unter Umständen etwas ein.

1. In der Gegenüberstellung von Kosten und Nutzen bringt der Rad- und Fußverkehr regelrecht einen Gewinn: wenig Infrastrukturinvestitionen, keine Emissionen und Lärm, wenig Unfallrisiken mit Wirkung auf Gesundheitsprävention und damit Senkung von Krankheitskosten.

2. Der Radverkehr erhält die geringsten Zuschüsse.

3. Der PKW-Verkehr in einer deutschen Großstadt kostet die öffentliche Hand und die Allgemeinheit etwa das Dreifache wie der ÖPNV.

Denn der PKW-Verkehr erfordert zwar durchaus auch – wie der ÖPNV - Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur und deren Unterhalt, bringt aber den Kommunen keine unmittelbaren Einnahmen wie der ÖPNV.

Lesen Sie hier die Studienergebnisse im Schnell-Check:

"Der Betrieb von Fahrzeugen erfordert Energie, verursacht Umweltschäden, setzt Investitionen in den Unterhalt der Verkehrsmittel sowie in die Infrastruktur wie Straßen und Schienen, Ampeln und Signale voraus, und er führt – im schlimmsten Fall – zu Unfällen. Aber Mobilität hat auch einen Ertrag. Verkehrsbetriebe nehmen Fahrgelder ein, und Bewegung hält – zum Beispiel die Radfahrer und Fußgänger – gesund. Bislang aber ist für die Kommunen ziemlich offen, welchen Investitionen in ihre Verkehrssysteme, welcher Ertrag gegenübersteht."

Kommunbales Tool zur Selbst-Ermittlung von Verkehrskosten

Es entstand ein Instrument auf Excel-Basis, mit dem die Kommunen die Kosten der einzelnen Verkehrssysteme bezogen auf ihre Gemeinde selbst ermitteln können. Damit können erstmalig die Zuschüsse des Radverkehrs mit denen der anderen Verkehrssysteme verglichen werden. „Ich erhoffe mir aufgrund unserer Arbeit eine transparentere Verkehrs- und Infrastrukturplanung“, sagt Sommer: „Wir geben den Entscheidern in der Politik das Instrument an die Hand, sich faktenbasiert für oder gegen ein Projekt zu entscheiden. Wir betrachten dabei nicht ein Verkehrsprojekt isoliert, sondern das Gesamtsystem und die Effekte einer Einzelentscheidung auf das Ganze.

Nach unseren Ergebnissen, die wir am Beispiel der Städte Bremen, Kassel und Kiel ermittelt haben, ist die Kostendeckung des PKW-Verkehrs für Kommunen deutlich geringer als die des ÖPNV. Osnabrück will unser Modell konsequent für die Verkehrsplanung nutzen. Andere Städte wollen dagegen gar keine Transparenz.“

Verband Deutscher Verkehrsunternehmen: „Ergebnis hat in dieser Klarheit überrascht“

„Der Kostenvergleich schafft Transparenz und stößt die Diskussion in den Kommunen über die wahren Kosten der Verkehrsträger an“, sagt Meinhard Zistel, beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e. V. für die Themen ÖPNV, Finanzierung, Demographie und ländliche Räume zuständig: „Der ÖPNV wird bisher vor allem als Kostenfaktor wahrgenommen. Jetzt sehen wir, dass andere Verkehrsträger wie der PKW und der LKW für die Kommunen viel mehr Kosten verursachen als der ÖPNV. Oder andersherum gesagt: Der Kostendeckungsgrad von PKW und LKW ist viel geringer als jener des ÖPNV.

Laut der Verbandserhebung trägt der ÖPNV in Deutschland nach Zistels Worten 76,1 Prozent oder 13,3 Milliarden Euro aus eigenen Mitteln zur Deckung seiner Kosten bei. Hiervon entfallen etwa 3 Milliarden Euro auf Ausgleichzahlungen, zum Beispiel für den Schülerverkehr und die Freifahrten für Schwerbehinderte. Die weiteren gut 10 Milliarden Euro sind klassische Fahrgeldeinnahmen. Letztere seien in den vergangenen zehn Jahren, in denen Bund, Länder und Kommunen ihre Haushalte konsolidierten, stetig gestiegen. Die Preisanpassungen lagen meist über der allgemeinen Teuerungsrate, sagt Zistel. Nun gebe es gute Argumente, auch andere Verkehrsträger angemessen an den Kosten zu beteiligen, die diese verursachten, weil sie Straßen, den öffentlichen Raum und Lichtzeichenanlagen nutzten.

Wie die Wissenschaftler rechneten

In einem langjährigen Prozess, an dem Praktiker aus Kommunen in ganz Deutschland mitgewirkt haben, entstand ein Rechenmodell, in dem die Kosten der verschiedenen Verkehrssysteme - ÖPNV, PKW- LKW- und Fahrrad- sowie Fußverkehr - miteinander verglichen werden können. In die Kosten der Verkehrsinfrastruktur flossen der Aufwand für die Flächen der Verkehrswege, deren Abschreibung, die Kosten der Lichtsignalanlagen, der Aufwand für Winterdienst, Straßenreinigung, Straßenbeleuchtung und Sonstiges ein.

In der gesamtwirtschaftlichen Sicht kamen als „externe Effekte“, die zu monetarisieren waren, die Luftverschmutzung, Klimaschäden, Lärm und Unfälle differenziert nach einzelnen Verkehrssystemen hinzu. Zur Ermittlung der Unfallkosten und deren Zuordnung zu Verursachern zogen die Forscher die polizeiliche Unfallstatistik heran, wohl wissend, dass leichte Unfälle darin nicht vollständig enthalten sind. Da der Nutzen von Bewegung für die Gesundheit der Menschen unstrittig ist, flossen auch diese positiven Effekte der nicht-motorisierten Verkehrssysteme mit ein. Die Basis bildete das Verfahren der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu Monetarisierung solcher Effekte.

Für die drei Beispielstädte ermittelten die Forscher jeweils unterschiedliche Ergebnisse, die aber angesichts der unterschiedlichen Datenbasis nur begrenzt vergleichbar sind.

In Kassel zum Beispiel beträgt der öffentliche Zuschussbedarf (wie Investitionen in die Infrastruktur und deren Abschreibung, Lichtsignalanlagen, Winterdienst, Entwässerung etc.) für den städtischen Verkehr knapp 71 Millionen Euro im Jahr. Diese verteilen sich mit 5 Millionen Euro auf den LKW-Verkehr, mit 26 Millionen Euro auf den PKW-Verkehr und mit 29 Millionen Euro auf den ÖPNV. Der Radverkehr wird dagegen mit lediglich insgesamt 600.000 Euro pro Jahr bezuschusst. Die Kosten der Anschaffung und des Unterhalts der privaten Last- und Personenkraftwagen einschließlich der Versicherungsbeiträge zur Deckung von Unfallkosten sind darin freilich nicht enthalten.

Die externen Kosten, die Unfälle, Lärm, Luftbelastung und Klimaschäden verursachen, berechnen die Forscher am Beispiel von Kassel mit mehr als 73 Millionen Euro. Davon verursacht der LKW-Verkehr 9,5 Millionen Euro, der PKW-Verkehr 57,5 Millionen Euro und der ÖPNV 3,5 Millionen Euro. Rad- und Fußverkehr tragen allein mit Unfallkosten (Rad 2 Millionen Euro / Fußgänger 0,7 Millionen Euro) zu den externen Kosten bei, liefern aber durch ihre gesundheitlich präventive Wirkung einen Nutzen (negative Kosten) von knapp 13 Millionen Euro durch den Rad- und knapp 68 Millionen Euro durch den Fußverkehr.

In Kiel und Bremen ist der Anteil des Radverkehrs etwa drei Mal so groß wie in Kassel. In Bremen wiederum mit seinem Hafen hat der LKW-Verkehr einen beinahe doppelt so hohen Anteil wie in Kassel und Kiel.

Um die öffentlichen Zuschüsse für den LKW- und PKW- sowie die externen Kosten dieser Verkehre durch eine City-Maut auszugleichen, müsste Bremen 36,7 Cent je LKW-Kilometer berechnen, Kassel 55,9 Cent je Kilometer und Kiel 28,7 Cent je Kilometer. Für den PKW-Kilometer müsste die Maut in Bremen 12,9 Cent, in Kassel 12,2 Cent und in Kiel 6,6 Cent betragen.