NEU: 8.30-10 Uhr Radabgabe
NEUE JOB-ANGEBOTE!!!
30.10.2018
Molekularbiologin Thompson analysiert chemische Prozesse der Lunge. WHO: 7 Millionen Tote vor allem durch Verkehr. Nun kommt Neutronenstrahlen-Forschung.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat erneut Zahlen zur Luftverschmutzung auf Basis von Daten aus dem Jahr 2016 veröffentlicht: Luftverschmutzung tötet laut dieser Studie weltweit sieben Millionen Menschen pro Jahr. Dem Bericht zufolge atmen weltweit 93 Prozent der Kinder gesundheitsschädliche Luft. 600.000 Kinder unter 15 Jahren sterben jährlich an den Folgen.
warnte die WHO, die sich auf Zahlen aus dem Jahr 2016 bezog. Im Durchschnitt atmen weltweit 93 Prozent der Kinder demnach Luft ein, die ein Risiko für ihre Gesundheit und ihre Entwicklung ist. In den reichen Ländern seien es 52 Prozent, in den übrigen Staaten 98 Prozent.
WIRED macht nicht nur in digitale Produkte & Gadgets, sondern auch ökologische Wissenschafts-Reportagen. Mehr zur folgenden Studie.
"In etlichen Städten drohen Fahrverbote für Dieselautos. Ständig werden Grenzwerte für Stickoxide überschritten, die zum Schutz unserer Gesundheit eingeführt wurden. Allerdings ist der exakte Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und Schäden in der Lunge noch nicht völlig erforscht. An Europas größter Neutronenquelle arbeiten Wissenschaftler daran, das zu ändern.
Es ist ein herrlicher Herbsttag in Grenoble: Die Sonne strahlt über den Bergen, Studenten radeln zur Uni oder fahren Tram, von Smog keine Spur. Das war nicht immer so. Grenoble, in einem Tal vor den französischen Alpen gelegen, gehörte lange zu den Orten mit der höchsten Luftverschmutzung in Frankreich. Dann wählte man hier 2014 als erste Großstadt des Landes einen grünen Bürgermeister. Jetzt herrscht Tempolimit 30 in der ganzen Stadt, neue Fahrradwege, Tramlinien und Fußgängerzonen sind entstanden. Diesel-Lastwagen dürfen gar nicht mehr in die Innenstadt, die offiziell schadstoffarme Zone ist.
Grenoble ist also ein guter Ort, um sich mit der Reduzierung von Luftverschmutzung zu beschäftigen. Hier forscht die britische Biologin Katherine Thompson darüber, welchen Schaden genau Abgase in unseren Lungen anrichten. Ein Thema, das seit der Diesel-Affäre und den Fahrverboten in deutschen Städten viele Menschen bewegt. Sie fragen sich: Wie gefährlich ist Feinstaub? Dasselbe fragt sich auch die Wissenschaft. „Wir verstehen immer noch nicht genau, wie schädlich Luftverschmutzung wirklich ist“, sagt Thompson, die genau diese Wissenslücke schließen will.
Nach Grenoble kommt sie allerdings nicht wegen der Bergluft, sondern wegen der stärksten Neutronenstrahlen der Welt, die sie für ihre Untersuchungen benötigt. Gewonnen werden sie in einem Forschungsreaktor des Instituts Laue-Langevin (ILL). Neutronen funktionieren wie ein Super-Mikroskop, das Forschern selbst winzige Moleküle zeigt. Sie durchdringen noch mehr Materialien als Röntgenstrahlen. In einer Serie stellt WIRED die spannendsten Projekte mit Neutronenstrahlen am ILL vor.
Katherine Thompson wurde einst in Oxford als Chemikerin ausgebildet, mittlerweile beschäftigt sich die Molekularbiologin mit chemischen Prozessen in der Lunge. Seit zehn Jahren untersucht sie, wie Verschmutzung Atmung und Zellmembranen schädigt. Regelmäßig reist sie für ihre Experimente von London zu Neutronenquellen wie in Grenoble.
„Wir schauen uns mit Neutronen an, welche Wirkung Schmutzpartikel in der Lunge haben“, erklärt Thompson. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO waren 2012 weltweit sieben Millionen Todesfälle auf Luftverschmutzung zurückzuführen. „Europäische Städte haben ein großes Problem mit der Luftqualität“, sagt die Forscherin von der Birkbeck Universität in London. „Der Großteil der Verschmutzung in Städten kommt durch den Verkehr.“
Wer von schädlichen Autoabgasen redet, der meint zum einen Stickstoffdioxid und Ozon und zum anderen Feinstaubpartikel, die in Motoren nicht verbrannt werden. „Beide Arten von Abgasen sind schädlich, nur auf unterschiedliche Weise“, sagt Thompson, „deswegen geht es uns darum, was genau die Schäden anrichtet und wie sich das vermeiden lässt.“
Lange habe man das nicht verstanden. In Diesel-Motoren wurden Rußpartikel absichtlich zerkleinert. „Sonst hätten die Abgase schmutzig ausgesehen und die Leute hätten die Autos nicht gekauft“, sagt Thompson. „Dabei wissen wir heute, dass gerade die kleinsten Partikel die größten Schäden anrichten.“ Bei neueren Diesel-Modellen fangen Filter den Feinstaub ab, damit möglichst wenig in die Umwelt gelangt. Denn die Rußpartikel sind so klein, dass sie nicht wieder ausgeatmet werden, sondern den Grund der Lunge erreichen und schließlich den Blutkreislauf. Atem- und Herzprobleme seien die Folge. Auch Herzstillstände und Krebserkrankungen werden mittlerweile mit Luftverschmutzung in Verbindung gebracht.
Unsere Lungen sind von einem empfindlichen Film aus Proteinen und Lipiden umgeben, der lebensnotwendig für die Atmung ist. In ihren Experimenten untersucht Thompson, wie Schadstoffe diesen Film verändern. Sie zeigt ein Bild von einer normalen Oberflächenstruktur, die aus vielen regelmäßigen, runden Formen besteht. Und dann ein Bild einer Lungen-Oberfläche mit Kohlenstoff-Nanopartikeln, ähnlich denen aus Diesel-Motoren. Die einst runden Formen sehen auf dem zweiten Bild aus wie deformierte Gummibärchen.
„Es gibt Enzyme, die so etwas reparieren können“, sagt Thompson. „Aber es stellt eine Zusatzbelastung für den Körper da, speziell wenn man schon unter Atemproblemen leidet.“ Die Symptome, mit denen Menschen bei hoher Luftverschmutzung in Krankenhäuser eingeliefert werden, ähneln bisweilen Asthmaanfällen.
An einem solchen Anfall starb im vergangenen Sommer in London eine Neunjährige, deren Tod daraufhin auf die Luftverschmutzung zurückgeführt wurde. Laut einer Studie des King‘s College würden in der britischen Hauptstadt jedes Jahr fast 10.000 Menschen daran sterben. „Aber es ist bisher schwierig, eine Einlieferung ins Krankenhaus oder einen Todesfall direkt mit Luftverschmutzung in Verbindung zu bringen“, sagt Thompson. Selbst die Richter in deutschen Großstädten, die Fahrverbote anordneten, verglichen nur Statistiken: Einlieferungen in Krankenhäuser an Tagen mit hoher und niedriger Luftverschmutzung. In der Lücke zwischen vermutlicher Ursache und tatsächlicher Wirkung setzt Thompson mit ihrer Forschung an. „Wenn wir die biologischen Veränderungen besser verstehen würden, dann könnte man überprüfen: Sind sie bei diesem Patienten aufgetreten oder nicht?“
Politiker müssten dann handeln, wenn gewisse Motoren nachweislich bestimmte Gesundheitsschäden anrichten, glaubt die Biologin. Die Ergebnisse ihrer Grundlagenforschung könnten aber auch Autoherstellern helfen, ihre Produkte nicht an der falschen Stelle zu verbessern. „Vielleicht stellt sich ja auch heraus, dass einige Probleme gar nicht durch Verschmutzung verursacht sind.“ In jedem Fall könnten ihre Forschungsergebnisse Politikern, Gerichten und Autobauern ermöglichen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. „Ich würde mir wünschen, dass sie die Resultate zumindest lesen“, sagt Thompson, „und wenn sie sehen, dass es klare Beweise für Schädigungen gibt, Anpassungen vornehmen.“
In London gibt der Bürgermeister bereits jetzt regelmäßig Verschmutzungsalarm, Paris und Brüssel experimentieren mit autofreien Tagen. Dass Veränderungen möglich sind, zeigt auch das Beispiel Los Angeles, das in den Achtzigerjahren als Smog-Hauptstadt galt. Mittlerweile konnte die Verschmutzung reduziert werden, durch Regulierungen und bessere Autotechnologie. „Erst wenn Menschen die Risiken kennen, ändern sie ihr Verhalten“, glaubt Thompson. In London sei die Luft vor hundert Jahren noch schlechter gewesen, bis die Menschen merkten, wie schädlich Kohlefeuer zum Heizen sind.
Die Forscherin vergleicht es mit dem Rauchen: Jetzt, da bekannt sei, wie schädlich Zigaretten wirklich sind, könne jeder entscheiden, ob er sich diesem Risiko aussetzen will. Und Rauchverbote können wiederum verhindern, dass Mitmenschen geschädigt werden. Thompson wirkt im Gespräch eher zurückhaltend, nicht wie jemand, der Empfehlungen gibt und Forderungen stellt. „Entscheiden müssen Politiker“, sagt sie leise. Aber Fahrverbote wie in Deutschland, sagt sie, „machen schon Sinn“. Sie können bereits nach wenigen Wochen für spürbare Verbesserungen der Luftqualität sorgen. Langfristig wäre eine Umstellung des Stadtverkehrs sinnvoll, weg von Hauptstraßen durch die Innenstadt, hin zu mehr öffentlichen Verkehrsmitteln, Fahrrädern und Elektroautos. „Städte können sich verändern“, sagt Thompson.
Wie Grenoble. Dort fährt der Bürgermeister, den seinen Gegner anfangs einen „grünen Diktator“ nannten, mit dem Fahrrad zur Arbeit. In einem Fahrradkorb vor dem Vorderrad transportiert er seine Akten. Vielleicht gehören dazu auch bald die Forschungsergebnisse von Katherine Thompson zu Luftverschmutzung und Lungenschäden."