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Bikes vs Cars. Unterhaltsamer Film der Mobilitäts-Kulturen.

von Martha Marisa Wanat

2015 erschien der Dokumentarfilm "Bikes vs Cars" und wurde seither in über 100 Ländern auf der ganzen Welt gesehen. 2017 lässt er uns innehalten, lachen und wundern.

Das Vorurteil, es könne sich mit Sicherheit nur wieder um einen dieser Aktivistenfilme handeln, die bis auf die skurrilen Lebens- und Kleidungsstile von den zu Wort kommenden Öko-Fahrrad-Freaks keine Aufregung beim Publikum wecken, weicht ziemlich schnell einem großen Wundern. Einem Wundern darüber, in was für Städten die Menschen dieser Welt in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts leben.

Der Film „Bikes vs Cars“ aus dem Jahr 2015 hat zum Zeitpunkt seiner Erscheinung ohne Zweifel nicht beabsichtigt, den damals aufgedeckten Diesel-Skandal medial zu dramatisieren, auch wenn der Titel aggressiver nicht sein könnte und man sich ein absurdes „Fast and Furious“ vorstellt, worin muskulöse Fahrradfahrer jaulende Rennwagen überholen...

Denn der Dokumentar-Film, der bereits 2013 erfolgreich über die Crowdfunding-Plattform Kickstarter finanziert (wie so viele Innovationen in der Fahrradbranche derzeit auch das Crowdfunding nutzen) und nach zwei Jahren Dreharbeit fertiggestellt wurde, will offenkundig noch etwas anderes:

Ja, es geht um Bikes versus Cars, Fahrräder gegen Autos – um den täglichen Kampf auf der Straße unserer Großstädte und dessen Opfer, die im Film mehrmals Erwähnung finden und uns bei allem Verkehrslärm verstummen lassen.

Aber es geht auch um Bikes und um Cars, Fahrräder und Autos; um die Kulturen und die Geschichte beider Verkehrsträger und wie diese ihren Lauf genommen haben.

Man kann nicht nur, man muss sie als völlig verschiedene Lebens-Welten in einer Welt bezeichnen, weil der Regie führende schwedische Filmemacher und Journalist Fredrik Gertten (geboren in der seit Jahren auf das Fahrrad umstellenden Stadt Malmö) auf zwei extrem starke Formen setzt, die den Film dominieren:

Die authentische Sprache und die Geschichten der Menschen, die die verschiedenen Welten repräsentieren und bewegen, sind Berichte von Alltagserfahrungen auf vollen Straßen, aus voller Überzeugung, von hoffnungsvollen Lebens-Träumen. Gertten fängt die subtilen Gesten, die Verunsicherung und den Mut auf den Gesichtern der Fahrrad- wie Autofahrer, von Umweltschützern, Städteplanern und Vertretern der Automobilindustrie ein, die von den Veränderungen erzählen, die unsere Städte seit 200 Jahren bestimmten und bestimmen.

Die zweite Form ist die der schockierend nüchternen und alltäglichen Aufnahmen heutiger Großstädte wie Sao Paulo, Los Angeles und Kopenhagen, denen allesamt eine wuselige Verrücktheit innewohnt, die wir Verkehr nennen. Neben den bis zu 12-spurigen Schnellstraßen in L.A. und Sao Paulo, die wir Deutsche auch beim sich wiederholenden direkten Anblick nicht recht begreifen können, ist die unfassbar weiche und sinnliche Überraschung des Films die Aufnahme eines alten Bicycle Highways aus dem Jahr 1900, als das Fahrrad für eine soziale Durchmischung des Stadtzentrums mit den Vororten sorgte und das Wort „Stau“ noch nicht mit der täglichen Fahrt zur Arbeit assoziiert wurde.

„Bikes vs Cars“ kam im März 2015 dem Diesel-Skandal zuvor. Weil letzterer nur ein Symptom einer globalen Mobilitätskrise sein kann, die aus dem Versuch heraus entstanden ist, das urbane Mobilitätsproblem durch den Besitz eines eigenen Autos zu lösen. Dieser Traum vom eigenen Auto kann nicht für alle wahr werden, ohne dass die Gesellschaft – besser: die Welt – darunter leidet. Dieses Bewusstsein transportiert der an wissenschaftlichen Makro-Daten und an tiefgehenden Schlüssen reiche Dokumentarfilm.

Berlin als Vertreterin der Automacher kommt peinlicherweise lediglich als Heimat übermächtiger Automobilkonzerne vor und einer Kanzlerin, die 2013 noch gegen Grenzwerte bei Schadstoffausstößen agiert hatte.

Wir ahnen doch schon spätestens seit 2015, dass wir gerade irgendwie auf dumme Art und Weise unser internationales Image verlieren und unsere Nachbarn Erleichterung darin finden, dass auch Exportweltmeister wirkliche gravierende strafrechtliche Fehler machen – und dabei noch arrogant sind.

Fahrradfahrer, Autofahrer, Städter, Pendler, Träumer, Hoffnungsvolle! In was für Städten wollen wir leben, um uns noch bewegen zu können? Was für eine Nation wollen wir sein, wenn unser Wohlstand nicht mehr von einer Industrie abhängig ist? Warum wundern wir uns noch?

Zu sehen ist der ganze Film auf Vimeo und Netflix.