BICICLI Logo
Morgengry / pixabay

18.01.2021

COVID-Mobilität - Erste Daten der Lockdowns

Pandemisches Pendeln: betriebliche Mobilität in Mobilen Arbeitszeiten. Wie wirken sich die Lockdowns auf die Mobilität und die Verkehrsmittel aus? Was kommt in 2021? Unser Daten-Check.

Die Zusammenfassung:

  1. Die Verkehre schwankten in und zwischen den Lockdowns deutlich: erst starker Rückgang, dann sogar z.T. Anstieg über dem 2019er Niveau – trotz ausgefallener Urlaubs-, Dienstreisen und Home Office.
  2. Der Individualverkehr gewinnt, der Öffentliche Verkehr verliert – deutlich.
  3. Dabei ist der Radverkehr ist Gewinner – und die alten Diesel.
  4. Gewerbliche Fahrzeuge mit Rückgang um fast ein Viertel die Verlierer.

Die Zukunft: Weniger Headquarter, weniger Dienstreisen, weniger Dienstwagen. Mehr Mobilitätsbudgets, mehr Flexibilität und mehr Druck auf neue und nachhaltige betriebliche Mobilitätsstrategie.


Bewegungsdaten: Bewegung in und zwischen Lockdowns.

Ob Apple, Google, MOBICOR (Zusammenschluss von u.a. Wissenschaftszentrum Berlin, Infas, Motiontag) oder Humboldt Universität: Mobilitätsdaten werden vielfältig und einfach erhoben. Mobilitätsverhaltensveränderungen – also die Beweglichkeit der Art der Bewegung – waren selbst hochbeweglich: Fiel die Mobilität Mitte März 2020 auf -39 % unter den Normalwert, erholte sie sich bereits Ende März vergleichsweise schnell wieder. Mit dem Wegfall erster Einschränkungen ab dem 20. April war bereits bis Ende Mai eine Rückkehr zur Normalität zu verzeichnen. Im ländlichen Raum gab es oft sogar eine Zunahme der Mobilität über dem Vorjahresniveau. Ab dem 2. November traten dann wieder bundesweite Mobilitätseinschränkungen in Kraft, die aber zu einem deutlich geringeren Rückgang der Mobilität im Vergleich zur ersten Welle führte.

Zwischenfazit: Wir sind unbeeindruckt bewegungsfreudig und oft wohl ohne betriebliche Veranlassung.

Bewegung in den Mobilitätsmärkten:
KfZ, Rad, Nahverkehr, „New Mobility“

In 2020 wurden knapp 3 Millionen Kraftfahrzeuge zugelassen - ein Rückgang von 19,1 Prozent. Wesentlich dafür war der Rückgang gewerblich zugelassener Pkw um fast ein Viertel, während der private Zulassungsbereich 13% verlor – dem doch breiten staatlichen Förder-Besteck zum Trotz. Beim Leasing zeigte sich aufgrund faszinierend niedriger Fahrleistungen die Tendenz zur Verlängerung der Bestandsverträge. Pandemie-Gewinner war mehrwertsteuer- und fördersubventioniert so gewollt der Hybrid-Antrieb: mit einem Plus von 120,6 % und einem Neuzulassungsanteil von 18,1 %. Während ja viele Ladekabel bei Hybriden auf Jahre hin Neuwertqualität durch Nichtnutzung aufweisen, haben sich die echten Elektroantriebe mit 194.163 Fahrzeugen ziemlich genau verdreifacht – mit einem Anteil von 6,7 %. Noch geringer ist der Anteil nur noch in der Fahrzeugklasse „Wohnmobile“ mit 2,6 %. Aber in Zeiten von Home Office, das ja arbeitsrechtlich meist „Mobiles Arbeiten“ ist, in kleinen Wohnungen und bei mehr Regionalurlauben gab es ein sattes Plus von über 40 Prozent als einer der Gewinner der Jahresbilanz.

Gemeinsam mit dem Fahrrad: Das Rad wurde zum Corona-Individualverkehrsmittel Nummer 1 im ersten Lockdown. Die Statistiken sind noch nicht da, viele Läden waren nach dem Lockdown schon im ersten Halbjahr leergekauft, Hersteller und Händler berichten von Zuwächsen um 30 %. Hersteller wie Zulieferer haben noch zwei Jahre Lieferkettenprobleme und Verfügbarkeitsprobleme. Durch die E-Bikes waren Pendlerstrecken von bis zu 15 und 20 Kilometer auf zunächst leereren Straßen, vereinzelt auf Pop Up Bike Lanes, für viele die Überraschung des Jahres gewesen: wieviel schneller, stressfreier und günstiger man ins Büro fahren kann. Damit wurde das Rad der Pandemie-Gewinner für Pendler wie Reisende – über alle Einkommensgruppen hinweg.

Und hier unterscheidet sich das Rad erheblich vom Nahverkehr: Dieser wurde aus wortwörtlich naheliegenden Gründen der Verlierer und blieb es. Im ersten Lockdown brach er nach Auskunft des Verbands der Verkehrsunternehmen städtisch um 75 Prozent und im ländlichen Raum um 90 Prozent ein. Bis zum Oktober gab es zwar Erholungen – aber auf geringem Niveau. Dass es zudem gerade Besserverdienende sind, die sich im Herbst vom ÖV fernhalten können, belegen die Nutzungsstatistiken des ÖV getrennt nach Einkommenssegmenten: Obere Segmente fahren Auto, untere Einkommensgruppen haben in Städten keines – und sorgen sich um ihre Gesundheit laut dem Monitor von MOBICOR mehr als im ersten Lockdown.

Die Sharing-Angebote im Bereich Fahrrad und Mikromobilität sind zumeist touristischer Natur und durchleben auch deswegen alle schwere Zeiten. CarSharing wuchs anbieterseitig um 45 % auf nun 226 mit nun mehr über einem Viertel gewachsenen Flotte von über 25.000 Fahrzeugen und einen erstmaligen Rückgang überhaupt – von knapp 2,5 Millionen in 2019 auf knapp 2,3 Millionen Nutzern.


Wie wird es in den 2020er weitergehen?

(1) Individualverkehr wird zunehmen, Öffentlicher Verkehr verliert.

Aus zahlreichen unterschiedlichen Studien zeigt sich immer das Gleiche: Der Öffentliche Verkehr, Taxen und Fahrdienste verlieren. Rund ein Drittel gibt an, stattdessen mit dem Rad oder zu Fuss zu fahren. Auch der motorisierte Individualverkehr dürfte unter den bestehenden Nutzern leicht zunehmen, insbesondere bei den Jungen. Durch mobiles Arbeiten wird zu beobachten sein, ob das mobile Arbeiten und die sinkenden Dienstreisen sowohl im Bereich der Dienstwagen wie im Bereich der KfZ-Flotte von Poolfahrzeugen ein Rückgang zu erwarten ist, da die Fahrleistungen in den bestehenden Leasingverträgen nicht erbracht werden.

(2) Bike-Boom bleibt und kommt professionalisiert ins Firmengeschäft

Der Radverkehr und besonders die Verkäufe von E-Bikes werden weiterhin stark zunehmen und anders als früher nun auch durch Leasing-Verträge und durch technologisch-digitale Innovationen zu schnelleren Ersatzbeschaffungen als bisher führen. Das aktive Fuhrpark-Management für Diensträder und auch Fahrradflotten für betriebliche, Kunden- und Lieferverkehre führen – parallel zum Endkunden-Boom – zu einem dringenden Professionalisierungsdruck der Radwirtschaft. Dies vor allem in einem Systemgeschäft im Bereich Park-, Lade-, Schliessung- und Digital-Infrastruktur sowie Servicierung.

(3) Strategiebedarf Unternehmensmobilität

a. Mobilitätstrategie: Viele Unternehmen haben in 2020 - auch aus Gründen der betrieblichen Gesundheitsvorsorge und den Nachhaltigkeitsanforderungen - eine ganzheitlichere Strategiearbeit für betriebliche, Pendler-, Kunden- und Lieferverkehre begonnen. Da der Umweltverbund durch den Öffentlichen Verkehr sinkt, wird es für nun wichtig über Ride Sharing, Home & Mobil Office, Arbeitszeitregelungen und Duschen wie Spindanlagen umfassender zu reagieren, um den nun nochmals steigenden Autoverkehr, die Parkplatzbedarfe und Staus zu vermeiden. Mobilitätsmanagement überwindet dabei Abteilungsgrenzen.

b. Mobilitätsbudget: Flexibilitätsbedarfe für Arbeitgeber und Arbeitnehmer steigen – daher wird der Fuhrpark 2019 nicht so weiterfahren. Viele beginnen nun vom Dienstwagen, Car-Pool oder BahnCard100 umzustellen. Das Mobilitätsbudget - z.B. angeboten von der Deutsche Bahn Tochter - wird auch politisch interessant, wenn es um die Steuerprivilegien der nächsten Jahre des New Green Deals geht.

c. Mobilitätsstationen: Ein zentraler Aspekt der Strategie wird in vielen Unternehmen eine gemanagte, die flexiblen Bedarfe der Mobilität abbildende Mobilitätsstation sein – mit mehreren Verkehrsmitteln vom E-Car, E-Bike, E-Roller oder E-Scooter, einem Service, der relevanten Infrastruktur, einer Packstation und einem guten Café. Nur so wird der betriebliche Fuhrpark den Entwicklungen insbesondere in den sich nun umbauenden Großstädten der nächsten Jahre auch standhalten – und die Unternehmen beweglich.

Das alles ist eben keine Zukunftsforschung, sondern Gegenwartsdiagnostik: Denn diese Pandemie ist – und das wissen wir ja – nur einer der vielen Treiber zu einer leiseren, luftigeren, lustigeren und lässigeren und kosten- wie CO2-effizienteren Mobilität.

https://www.infas.de/neuigkeit/mobilitaet-und-corona-wie-veraendert-sich-der-alltagsverkehr/

https://www.covid-19-mobility.org/de/

Dieser Beitrag wird in ähnlicher und aktualisierter Form in der Zeitschrift Autoflotte erscheinen.

Prof. Dr. Stephan A. Jansen ist Geschäftsführer der »Gesellschaft für Urbane Mobilität BICICLI« und deren Mobilitätskonzeptberatung »MOND – New Mobility Designs«. Mit dem Geschäftsbereich BICICLI Cycling Solutions sind sie Pionier und Full Service-Spezialist für Fahrradflotten-, Dienstrad- sowie Infrastruktur-Lösungen (u.a. Preisträger des Deutschen Fahrradpreises 2020, des Innovationspreises des Deutschen Handels sowie des Future Mobility Summits vom Tagesspiegel).

Er ist langjähriger wissenschaftlicher Berater der Bundesregierung (u.a. Mitglied des Innovationsdialogs der Bundeskanzlerin, der Forschungsunion, Spitzencluster-Initiative etc.). Jansen ist Gründungspräsident der Zeppelin Universität und seit 1999 Gastforscher an der Stanford University. Er wurde vielfach für seine Arbeit und Publikationen ausgezeichnet – auch international im globalen Ranking der »Thinkers50«.

Er schreibt in seiner Kolumne „Neue Fahr-Lässigkeit“ – wissenschaftlich, bissig, humorvoll oder eben: autonom, elektrisierend und rasant.