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Einwurf: »Manifest der nächsten Mobilität«

von Stephan A. Jansen

In der Mobilitätswende nervt die fehlende »geistige Mobilität« von Politik und Industrie - genau wie die unterkomplexe Moralisierung.Ein Manifest – vier Prognosen und sechs Maßnahmen.

Zwei Prognosen zur Mobilität:
Menschenrecht und Moralisierung

  1. Mobilität wird ein Menschenrecht werden - global.
  2. Individual-Mobilität hingegen wird mit mehr Nachdruck moralisiert werden, wenn sie für andere Nachteile erbringt.

Damit würde der verständliche Wunsch nach Mobilität und die kollektiven Folgen individueller Mobilität in den Fokus des Politischen, Wirtschaftlichen wie Privaten gelangen. Und das ist passiert. Mit allen Paradoxien von sich in Billigfliegern beschwerenden Umweltaktivisten und SUV-fahrenden Empörern über die Kartellierungen und Manipulierungen seitens der Auto-Industrie.

Zwei Prognosen zum Mobilitäts-Träger:
Weg von Auto-Gerechtigkeit der Stadt und hin zum neuen »Modal Split«.

Die Legitimität der Mobilitätsträger mit Blick auf ihre negativen externen Effekte wird nun international mit erheblicher Konsequenz gerade auch für Deutschland diskutiert - und dies entschieden. In vielen Ländern werden Quoten für Auto-Importe mit alternativen Antriebstechnologien festgelegt und städtische wie zunehmend nationale Einfahrverbote für Verbrennungsmotoren verabschiedet.

Die herstellerseitige Manipulation von Software bei Verbrennungsmotoren und deren Test-Tricks, die zur Diskussion stehende Absprachen, Kartellierungen und Duldungen aus dem politischen Lagern jedweder Couleur inkl. dem Kraftfahrtbundesamtes oder eben die städtischen Strategien von Einfuhrverboten, Parkraumbewirtschaftungen und Mauts zeigen nun eine Konkretion der Mobilitätswende genauer, deren ersten Spurenelemente - analog der für manche überraschenden Energiewende - bereits Jahrzehnte zurückliegen.

Digitalisierung mit Blick auf Autonomes Fahren und Mobilitäts-Plattformanbieter sowie deren Monopolisierungstendenz sind ebenso wie die Infrastruktur-Problematiken aktuelle Treiber einer gesellschaftlichen Debatte, die erst am Anfang vom Ende dessen steht, was wir als urbane Mobilität seit dem zweiten Weltkrieg kennen. Es wird so nicht bleiben.

  1. Das Ideal der »autogerechten Stadtentwicklung« weicht der wieder zu entdeckenden Idee einer stadt- und damit bürgergerechten Mobilität. Und das Versprechen des Autos als Individualmobilität wird nicht nur durch Einfuhrverbote in Städten und Ländern ad hoc entwertet.
  2. Landesregierungen wie auch die Bundesregierung sind in der lange Jahre eingeübten Versuche Balancierung von Arbeitsmarkt-, Wirtschaftspolitik, Verkehrs- und Umweltpolitik nun in eine neue Dimension der sich schon länger abzeichnenden Mobilitätswende gekommen: die Balance der Mobilitätsträger untereinander (modal split bzw. intermodale Mobilitätsysteme statt Individual-Verkehrsträger) einerseits sowie der Beziehung zwischen Staat, Markt und Zivilgesellschaft selbst wird neu und anders, z.T. angesichts der städtischen Nöte radikal bedacht werden müssen.

Konsequenz: ganzheitliche Mobilitätswende
Stadtentwicklung im Kontext »Arbeit, Gesundheit, Leben, Infrastruktur«

Die nachhaltige Stadtentwicklung z.B. im Kontext der Vereinten Nationen (»Habitat III«) oder auch der vermutlich klimawirksamere Zusammenschluss der sogenannten »C40 Städte« im Vergleich zu nationalen Bemühungen zeigt eine neue Anforderung der Regulierung und Selbstregulierung der ganzheitlichen Mobilitätswende, die sich mit der Neuen Arbeit und dem Pendeln, der betrieblicher Gesundheit, der Verantwortungsfrage für Infrastruktur-Aufbau etc. beschäftigen muss. Und in Deutschland aufgrund des in jeder Hinsicht verdienstvollen Erfolges im Premium-Automobil-Sektors der letzten 60 Jahre in besonderem Maße. Es wird inter-sektoraler - also kooperativer zwischen Staat, Markt und Zivilgesellschaft jenseits des geübten Lobbyismus - und es wird inter-modaler - also auf die Verbindung der Verkehrsträger-Systeme abzielend. Nur so wird Mobilität auch inter-generational gerechter.

MANIFEST DER NÄCHSTEN MOBILITÄT
— SECHS (EINFACHE) MASSNAHMEN —

Die folgenden Ausführungen sind ein handlungsempfehlender Diskussionsbeitrag - provokativ, vereinfachen und damit für Gegenpositionen ausdrücklich einladend.

1. Richtet das Dienstwagen-Privileg in seiner Anreizwirkung auf Abgaswirkung aus!

Bei zehn der 20 erfolgreichsten Auto-Modelle in Deutschland liegt der Anteil der Neuzulassungen durch den gewerblichen Bereich bei 70 Prozent. 80 Prozent der betrieblichen Auto-Flotten (z.B. auch die der Mietwagen-Anbieter) sind Dieselfahrzeuge. Die Leasing-Gesellschaften seien - auch mit Blick auf die Restwerte - noch gelassen. In Deutschland dominieren steuermotivierte und somit subventionierte Dienstwagen bzw. Flottenfahrzeuge – in der Regel übermotorisiert und eben Diesel. Das Dienstwagen-Privileg wie auch Mineralöl-Steuer-Privilegien sollten zukünftig ausschließlich für alternative Antriebstechnologien bei Autotypen verwendet werden, deren Tests auch im Realbetrieb bereits validiert wurden. Dies bedeutet allerdings auch eine Abkehr von der „Monokultur Elektromobiltät“, deren Ökobilanz im Gesamtlebenszyklus noch immer mehr als fraglich ist - und man sich die »Batterie-Gipfel 2040« schon bildlich vorstellen mag.

2. Weitet die jahrzehnte währende Steuerprivilegierung für Autos auf Mobiliätsbudgets aus!

Die Generation Y möchte keine Autos mehr besitzen, noch nicht mal Dienstwagen. Dies ist ein Ergebnis der Studie vom Handelsblatt bei DAX- und Beratungsunternehmen vom August 2017. Die Entscheidungen, Diensträder analog steuerlich zu behandeln, ist zu begrüssen und steht erst am Beginn der Umsetzung. Mitunter noch halbherzig, nämlich in voller Mitarbeiter-Belastung. Dies wird derzeit aber noch meist im Zuge der Gehaltsumwandlung und nicht als Gehaltsbestandteil behandelt. Ziel muss es sein, ein verkehrsträger-neutrales „Mobilitätsbudget“ – ob BahnCard, Rad, Auto etc. – in die Entscheidung des Arbeitnehmers zu stellen. Dies können vor allem eigene Bereitstellung von Mobilitäts-Flotten sein, oder die Nutzung externer Dienstleister. Damit ergeben sich reale Nachfragen und Bedürfnisse. Und dies über der derzeitigen Freigrenze von 44 Euro.

3. Nutzt die schnelle Lenkungswirkung der Öffentlichen Beschaffung!

Die »Elektroprämien« und die »Nationalplattform Elektromobilität« sind in der Anreizwirkung - mit Ansage der Gegner - gescheitert. Die Henne-Ei-Problematik von Nachfrage, Angebot und Infrastruktur lässt sich bei netzbezogenen-physischen Gütern vor allem durch die Umstellung der Öffentlichen Beschaffung im Bereich der Mobilitätsfuhrparks steuern. Hier ist überraschenderweise aus der Politik - also den vielfahrenden Volksvertretern - wenig Impuls zu spüren. Das von der Bundesregierung selbstgesteckte Ziel des "Regierungsprogramms Elektromobilität" aus dem Jahr 2011, mindestens zehn Prozent der neu gekauften oder angemieteten Dienstwagen elektrisch zu fahren, erreichten 2015 nur vier von 17 Bundesministerien und -behörden. Das ist keine Steuergeld-Verschwendung, wenn die Nachfrage die Skalierung zu einer Stückkostendegression führt.

4. Investiert in den ÖPNV - und rüstet um!

LInienbusse fahren und fahren - mit Diesel ... Es wird nun oft auf aktuelle Modell verwiesen, die 90 Prozent des Stickstoffdioxides vermeiden sollen. 90 Prozent der ÖPNV-Busse sollen auch die grüne Plakette aufweisen, nach Angaben des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen. Der ÖPNV wird international ausgebaut und auch qualitativ aufgewertet. Die investiven Maßnahmen insbesondere im urbanen Raum sind dabei überschaubar. Elektrobusse im Nahverkehr kosten Geld - aber es bilden sich bereits Allianzen von Hamburg, Düsseldorf, München und anderen. Der Deutsche Städtetag geht von einer Milliarde Euro Umrüstungsaufwand für die Umrüstung kommunaler Busse aus - 200 Mio. Euro jährlich über fünf Jahre. Das ist offen gesagt überschaubar - und angesichts der ca. 1,5 Milliarden Euro des Mineralöl-Privilegs für Diesel-Kraftstoffe pro Jahr (netto) irgendwie machbar. 100 Mio. Euro flossen so nebenbei beim Diesel-Gipfel für den Kauf von Elektrobussen. Radfahrer und Fussgänger würden die Busse gern weiterhin hören, aber nicht zwingend mehr riechen.

5. Baut die Auto- und E-Bike-Lade-Infrastruktur dort auf, wo die Autos am besten ladbar stehen: Beim Arbeitgeber!

Auch auf Bio-Bauernhöfen ohne Fipronil bleibt das ungelöste Henne-Ei-Problem: von den für 2020 angestrebten 1 Million Elektrofahrzeuge fuhren zu Jahresbeginn gerade einmal 34.000 Autos. 300 Mio. Euro Fördermittel hat die Regierung für die Infrastruktur bereitgestellt. Meist wird in der heimischen Garage aufgeladen, was im urbanen Raum ein zunehmend unbekannter Ort ist, ebenso wie die 30 Meter-Verlängerungskabel aus dem 4. Stock.

Nur 10 bis 20 Prozent werde heute an den 3.400 öffentlichen Ladestationen erfolgen. Im Ergebnis: Jedes 10. Auto hätte eine eigene öffentliche Ladestation, dass aber nur zu 10 Prozent genutzt wird. Derzeit gibt es keine vergleichbaren Apps wie bei normalen Tankstellen - zur Lokalisation und zum Preisvergleich, wie der Stromanbieter Lichtblick herausfand. Das wird lösbar sein. Dies wäre auch ein Ende der regional-monopolistischen Angebote - mit Preisspannen zwischen kostenlos (Düsseldorf) und 67 Cent im Vergleich zum Haushaltsstrom von 29 Cent pro Kilowattstunde. Und es wäre ein Anfang einer Infrastruktur der öffentlichen Ladestationen als Teil des Stromnetzes, die für alle E-Fahrzeug-Halter zugänglich und über den Haushaltsstrom abrechenbar wäre.

Aber die Ladezeiten und die Parkraumbewirtschaftung im öffentlichen Raum bleibt als Herausforderung. Da kann man auch an Tankstellen nun Kinder-Paradiese gegen die Langeweile einrichten, die naheliegende Lösung ist nahe-liegend: Ladung dort, wo keine Nutzung notwendig ist. Also beim Arbeitgeber. Platz ist da, Ladezeit ist ohne Langeweile gegeben, Interesse bei obigen Maßnahmen-Implementierung auch.

Ladestation-Betreiber wie Tesla, Energieversorger wie Innogy, die nun hier offiziell kooperierende Automobil-Industrie, die Arbeitgeber und die Regierung könnten nun Standardisierung- und Normierung sowie Ko-Finanzierung gemeinsam vornehmen. Und die E-Bike-Nutzer würden sich bei Diensträder auch freuen, wenn sie nicht weiter zu Hause auf eigene Kosten aufladen müssten, was nicht Sinn der Regelung war.

6. Koopertiert bei multimodalen Flotten im Modal Split: Professionalisierung des "Sharing & Caring"!

Betriebliche Flotten im urbanen Raum - ob Diensfahrzeuge, Logistiker, Car-Sharing-Anbieter, Elektro-Roller oder öffentliche bzw. betriebliche Rad-Flotten - nehmen zu. BICICLI hat beim Bundesverkehrsministerium einen Antrag zu Innovation durch zugangserleichternde und kooperative Rad-Flotten eingereicht - für die Lebensbereiche "Arbeit", "Wohnen", "Einkaufen", "Reisen". DIe Grundidee: Gemeinsame Nutzung multi-modaler Flotten verschiedener Fahrzeugtypen - in Neubaugebieten, für Händler-Kooperative, für Immobilien-Entwickler im urbanen Raum und Arbeitgeber in der Verbindung von Diensträder und häusergebundenen Flotten. Der SUV ist wohl deswegen so erfolgreich, weil einem verkauft wird, dass man ganz unterschiedliche Anwenundungen in einem Fahrzeug verbinden könnte. Jeder weiss, insbesondere Mütter wissen: Mobilitätsanforderungen sind dauernd anders und man hätte für bestimmte Anlässe am liebsten bestimmte Mobilitätsträger - und noch lieber welche, um die sich andere auch besser kümmern, als man es selbst vermag.

FAZIT: Das Volk will etwas wagen - gegen den rasenden Stillstand.

Ausland hat bereits nationale Einfuhrverbote von Diesel- und weiteren Verbrennungsmotoren verabschiedet. Der deutsche Wahlkampf verkämpft sich über eine EU-Quote. Wir sind in Deutschland aber nicht Export-Weltmeister mit meritorischen Gütern geworden, also zwangsbeglückender staatlicher Versorgung, sondern wegen dem vielbeschworenen Vorsprung durch Technik. Da sind wir in maßgeblicher Technologie offenbar nicht mehr so führend, wie es sich eine Kanzlerin und viele BürgerInnen wünschten. Die jahrzehntelangen Erfolge haben Folgen hinterlassen. Nun gilt es, den Vorsprung durch eine Vielzahl von sozio-technologischen Innovationen aufzubauen.

»Rasender Stillstand« hat der Geschwindigkeitsforscher, Stadtarchitekt und Denker Paul Virilio das genannt, wenn alle daran arbeiten, dass sich nichts bewegt. »Volk ohne Wagen« nennt das der Braunschweiger Mobilitätsforscher Stephan Rammler das. BICICLI glaubt an ein, die neue Mobilität wagendes Volk.