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28.03.2018
Frank Otte hat mit kommunalpolitischem Erfahrungsschatz aus Osnabrück in FranksCycleBlog aus aktiver Teilnehmerrolle den Salon "Wohnen & Mobilität" reflektiert. Lest selbst!
Der Text erschien im Original auf FranksCycleBlog.
Alexander Lutz von Bike Citicens und ich trafen uns zum Ride durch die Lange Nacht der Fahrradläden direkt bei Bicicli. Schon am Tag zuvor musste ich feststellen, dass an meinem Brompton irgend etwas mit der Schaltung nicht stimmte und kurz vor der Fahrt nach Berlin löste sich der Umwerfer. Ich konnte ihn nur noch mit Gaffatape provisorisch halten. Mir fehlten also schon mal die Hälfte meiner sechs Gänge. Am Bahnhof in Berlin war mir dann aufgefallen das ich Finn, die Halterung für mein Smartphone vergessen hatte. So konnte ich die Navigation nur mit dem Handy in der Jackentasche bedienen. Zudem hatte es angefangen zu regnen. Die besten Voraussetzungen also für diesen Abend. Die Straße, in der der Laden von Stephan Jansen sein sollte, hatte ich gefunden aber das Navi hatte mich schon um zwei Ecken geführt (weil die Straße so verlief) und ich sah immer noch keinen Fahrradladen. Der Regen auf der Brille tat sein Übriges um die Übersicht zu verlieren. Also Handy raus und Alex anrufen damit er mir ein Zeichen gibt. Natürlich steckte sein Handy wohl in seiner Jackentasche und er stand mit einem Bier in der Hand im Trockenen. Als ich die Brillengläser vom Nieselregen befreit hatte, sah ich drei Läden weiter ein paar Lastenräder. Gefunden! Der Showroom von Bicicli sieht eben auch anders aus, als ein normaler Fahrradladen. Die herzliche Begrüßung im Laden von Isabell und Stephan senkten den Frustpegel sofort und die „neue Fahr-Lässigkeit“ holte mich ein.
Das Team von Bicicli war dabei, für das Wohl der Gäste zu sorgen und Stephan fragte gleich, wie er mich in die Diskussion einbeziehen könne. So blieb kaum Zeit das zu tun, weshalb ich eigentlich auf diese Abendtour gegangen war – Fahrräder gucken. Aber wie hieß der Film von Detlev Buck: Erst die Arbeit und dann...
Bicicli hatte drei Referenten für Impuls-Statements eingeladen, um eine Diskussion über Wohnen und Mobilität anzustoßen. Den Anfang machte Katja Täubert, Referentin für Rad-und Fußverkehr sowie politische Kampagnen beim Verkehrsclub Deutschland e.V. (VCD).
Sie brachte interessante Thesen ins Spiel. Die Feststellung Wohnen leitet Mobilität, die auch in der Umkehrfunktion Mobilität leitet Wohnen ihre Gültigkeit behält, konnte sie mit Untersuchungsergebnissen zu Sozialstrukturen an verkehrsreichen Straßen untermauern.
Auch berichtete sie von Zusammenhängen zwischen verkehrsreichen Stadträumen und den Sozialkontakten der dort lebenden Menschen. Mich haben diese Betrachtungsweisen nachdenklich gemacht. Nicht nur, dass wir durch Verkehr in der heutigen Form Immobilienwerte vernichten, da die Werte der (Wohn)Gebäude sich gegensätzlich zur Verkehrsdichte verändern. Auch die gesellschaftlichen Probleme verdichten sich bei den Bevölkerungsschichten, die nur noch in diesen Räumen eine finanzierbare Wohnung finden. Sie bestätigte meine Auffassung, dass auch der Weg zwischen Wohnung und Arbeit bzw. Handel eine Qualität haben muss, damit er genutzt wird. Ist das Umfeld so negativ, das ich diese Wege nicht gehen oder mit dem Rad fahren mag, werde ich diese Wege auch nicht nutzen. Das führt zu weniger Sozialkontakten und Veränderungen im Käuferverhalten.
Johannes Gillert, Immobilienberater und Investorenvertreter, stellte drei Thesen auf:
In den ersten beiden Thesen liegen aber auch schon die Lösungsansätze verborgen. Die öffentliche Hand, die über die Planungshoheit eigentlich den Schlüssel zur Veränderung zu einer nachhaltigen Gesellschaft und Stadt in der Hand hält, muss wieder zu ihrer gestaltenden Rolle zurückfinden und sich mehr der aufkeimenden Bürgergesellschaft in Form von Initiativen und Baugruppen bedienen. Das Planungsrecht bedarf aber in seinen Instrumenten einer Reform um den klassischen Ablauf von Planung und Umsetzung auf die eher dialogischen Prozesse umzustellen.
René Wilcke als Projekt-Manager der Joanes Stiftung konnte von den Modellen berichten, die diese Stiftung umgesetzt hatte. Sie befassen sich mit neuen / anderen / alternativen Wohnformen, die für günstigen Wohnraum innerhalb nachhaltiger Stadtquartiere sorgen. Seine These „Mehrwert durch Verzicht“ würde ich so allerdings nicht stehenlassen wollen. Der Begriff „Verzicht“ ist in der gesellschaftlichen Diskussion bei der Veränderung von Wohnformen nicht akzeptiert. Gemeint war, dass wir nicht alle Ansprüche an die Wohnung in vollem Umfang in unseren klassischen vier Wänden erfüllen müssen. Das Wohnzimmer muss eben nicht so groß sein, das auch der runde Geburtstag darin gefeiert werden kann und weil dreimal im Jahr die Oma kommt, benötige ich nicht zwölf Monate ein Gästezimmer. Einzelne Funktionen auszulagern und mit anderen zu teilen sollte nicht als Verzicht sondern ausschließlich als Mehrwert dargestellt werden. Dieses Prinzip nicht mehr alles selbst besitzen zu wollen und damit aber mehr zur Verfügung zu haben ist das Grundprinzip der Co-Housing-Siedlungen die bereits in den 70er Jahren in den USA und Dänemark entstanden sind. Das hier nun Stiftungen, die wie Bauträger auftreten, dieses System aufgreifen, professionell umsetzen und mit den Vorteilen einer smart city kombinieren kann breitere Bevölkerungsschichten an diese veränderten Wohnformen heranführen. Weiter fragte er kritisch nach dem Zusammenhang von Infrastruktur und Wachstum. Wenn die Städte die gewollten und richtigen Zuzüge noch durch Schaffung von Wohnraum befriedigen können, können sie auch die notwendige Infrastruktur in der nachgefragten Qualität erstellen oder steht die strukturelle finanzielle Unterversorgung dagegen. Hier begründet sich die Gefahr, dass die neue Stadt mit den neuen Wohnformen keine Stadt für alle sein wird, sondern die Qualität der wohnortnahen Infrastruktur privat finanziert wird und nur Teilen der Gesellschaft zur Verfügung steht.
In der Diskussion griffen sehr schnell die Begriffe Mobilität und Gentrifizierung Raum. Wenig erstaunlich, dass bei der Mobilität der ruhende Verkehr (Tiefgarage vs Laternenparker) mehrere Diskussionstränge in Anspruch nahm, obwohl doch die neue Mobilität eigentlich davon ausgehen sollte, dass wir in der Lage sein müssen Mobilitäts- und Besitzformen zu finden, die zumindest die motorisierten Fahrzeuge in Bewegung halten und somit die Raumpropleme des ruhenden Verkehrs lösen. Gleichzeitig müssen wir es schaffen, der Gentrifizierung entgegenzuwirken um die Stadt und ihre Qualitäten für alle Bewohner nutzbar zu machen. Wobei wir wieder bei meinen Ausführungen zu Johannes Gillert und der Wiedererstärkung der Planungshoheit der Kommunen sind.
Stephan und Isabell lenkten geschickt die Diskussion in den Abschluß zum persönlichen Austausch, der für Alex und mich nun definitiv zu kurz kam, da noch weitere Bike Shops auf unsere Visite warteten. Bicicli und seine Mobilitätskonzept und natürlich sein breites Angebot an edlen Rädern macht einen neuen Besuch unverzichtbar.