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Bewegungsmelder: Coronale & post-coronale Mobilität

Bewegende Zeiten für den Mobilitätssektor – in einer Gesellschaft im Home Office. Daten & Diagnosen für alle Beteiligten der Mobiliät im März hier.  

Autobauer bereiten sich auf die Produktion von medizinischer Ausrüstung vor. Bosch hatte schnell einen Coronavirus-Schnelltest für Krankenhäuser und Arztpraxen vorgestellt. Nun geht es – so möglich - um Schutzausrüstung wie beispielsweise Atemschutzmasken, meist auch im 3D-Printer-Modus.

Die Flieger am Boden, die Flughäfen auch, Fluggesellschaften werden verschwinden, sich hoch verschulden oder teilverstaatlicht werden. Die Deutsche Bahn hat 13 Prozent weniger Gewinn, aber Fahrgast- und Investitionsrekord. Darum ging es eigentlich auch.

Der Wachstumsbeschleuniger ÖPNV wird bei nächsten Bestellungen die Waggon-Designs mit Abstands- und Hygiene-Regelungen reflektieren, so gut es eben geht. Denn immer mehr Menschen meiden den öffentlichen Nahverkehr, wie auch eine exklusive Umfrage des Berliner Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag von Tagesspiegel Background vom 20. März 2020 zeigte. Der Studie zufolge nutzen rund zwei Drittel der 2500 Befragten öffentliche Verkehrsmittel seltener als vor der Corona-Pandemie – und zwar bereits, bevor die Kontaktsperre in Kraft trat.

Bewegungsdaten: Mehr Individualverkehr, aber auch weniger Auto.

Nur knapp 30 Prozent gaben an, ihr Mobilitätsverhalten diesbezüglich kaum oder gar nicht geändert zu haben. Interessant: Zwischen den Altersgruppen und Stadt und Land bestehen kaum Unterschiede.

Allerdings: die Menschen bleiben mobil – auch wenn die Bundeskanzlerin und Länderchefs in den vergangenen Tagen empfohlen und nun entsprechend reguliert habe, auf unnötige Verkehre zu verzichten. Der Verkehr scheint sich teilweise auf andere Verkehrsmittel zu verlagern. Darauf deutet eine Studie des sog. Smart Mobility Start Ups Motionstag auf Basis anonymisierter Bewegungsdaten hin, die im Tagesspiegel vorgestellt wurde. Sie stellt die Veränderung der Woche 16. bis 22. März im Vergleich zur Vorwoche in Deutschland dar:

  • Rückgang der Nutzung von Bus und Bahn um ca. 50 Prozent
  • Rückgang der Autofahrten um etwa 16 Prozent.

Für die Schweiz gab es eine ähnliche Analyse mit folgenden Befunden:

  • Weniger Wege und kürzere Dauer: Reisende Sonntag Anfang März mehr als 50 Kilometer, am 22. März nur noch knapp 20 Kilometer.
  • Rückgang der Fuß-Verkehre um 25 Prozent.
  • Zunahme des Spazierengehens an Werktagen um 3 Prozent.

Dass die außerhalb von Gebäuden verbrachte Zeit insgesamt abnimmt, ließ sich aus den Daten gerade nicht ableiten: Die Dauer von Aktivitäten im Freien hat im Untersuchungszeitraum sogar zugenommen.

Das Radfahren: #CyclingVSCorona

Corona-Vehikel Nummer Eins? Das Fahrrad! Zunahme um 33 Prozent (gemessen an Zeit) auf dem Rad als in den beiden Wochen zuvor, was bei Kälte und Sonne kein rein saisonaler Effekt sein dürfte.

Virologen wie der auf einmal höchstprominente Charité-Arzt Christian Drosten haben das Fahrradfahren in diesen Tagen immer wieder empfohlen. Es reduziere die Ansteckungsgefahr und die Bewegung an der frischen Luft stärke das Immunsystem.

Um die Sicherheit für Fahrradfahrer zu erhöhen, haben Städte nach dem Vorbild der kolumbianischen Stadt Bogotá weltweit Straßenabschnitte für Autos gesperrt und zu temporären Radstreifen erklärt, unter anderem in Berlin-Kreuzberg – mit den in diesen Tagen sonst kaum mehr erlebbaren Spurenelementen oppositioneller Arbeit. Mit dem Stadtstaat Berlin ist auch die einzige Öffnung für Fahrradläden in Deutschland erlaubt worden – mit Hygienestandards, die man sich im Lebensmittelhandel wünschen würde.

Dass das private Auto während der Krise nicht das Verkehrsmittel erster Wahl ist, gaben auch die von Civey Befragten an. Auf die Frage, ob sie das Auto während der Corona-Pandemie häufiger genutzt hätten als zuvor, antworten rund 75 Prozent der Befragten mit „nein, auf keinen Fall“ oder „eher nein.“ Nur etwa acht Prozent gaben an, „auf jeden Fall“ den Pkw mehr zu nutzen als zuvor.

Caring and Sharing: Was machen die Verleiher?

Der Unterschied zwischen Verkäufern und Verleihern von Mobilitätsmitteln wird in den kommenden Monaten noch deutlich werden: Verleiher, die ohnehin schon mit einem profitablen Geschäftsmodell gerungen haben, weisen keine Nachholeffekte auf, während Autos und auch Räder später – nach Kontaktsperre und Gehaltseinbußen durch Kurzarbeit – diese aufweisen werden.

Und es zeigt sich nun auch klar: Solange ein Ansteckungsrisiko besteht und Ausgangsbeschränkungen herrschen, meiden viele Menschen nicht nur die öffentlichen Verkehrsmittel, sondern auch alle Sharingdienste. Seien es Autos, E-Scooter oder Shuttle-Busse. Die hygienischen Maßnahmen wurden nach eigenen Angaben der Anbieter intensiviert, aber alle Sharing- und Ridehailing-Anbieter haben mit rückläufigen Buchungen zu kämpfen. Viele pausieren ihre Dienste, andere setzen auf Alternativangebote. Ein Überblick zusammengestellt aus Quellen des Handelsblatts und ZEIT Online sowie Gründerszene:

  • E-Tretroller: Sie sind aus dem Stadtbild nahezu verschwunden, was viele der zugenommenen Spaziergänger durchaus wohlwollend zur Kenntnis nahmen. US-Anbieter Lime hat in fast allen europäischen Städten die E-Tretroller pausiert. Uber (Jump) und Bird (Circ) verleihen vorübergehend ebenfalls nicht mehr. Der schwedische Voi reduzierte Flotte und empfiehlt Handschuhe bei der Nutzung. Nur Tier Mobility bietet hierzulande überhaupt noch an – nähere sich wirtschaftlich aber nach eigenen Angaben an der „Schmerzgrenze“. 60 Prozent der Tier-Mitarbeiter sind seit letzten Montag in Kurzarbeit.
  • E-Mopeds: Der Berliner Emmy setzt verstärkt auf Helmhygiene und bietet weiterhin an – mit einem Rückgang nach eigenen Angaben von 50 Prozent. Auch hier stehe Kurzarbeit an und bei Wegfall der Sommersaison wird es existenziell.
  • Ridepooling: Moia stellt sein Angebot in Hamburg und Hannover ab dem 1. April vorübergehend ein – der Rückgang der Nachfrage werden sich fortsetzen. Kurzarbeit für die 900 Beschäftigten ist wie auch sonst bei Volkswagen beantragt. Der Pooling-Fahrdienst Clevershuttle hat ab dem 3. April in einigen Städten Kurzarbeit beantragt. Wie das Unternehmen mitteilt, wird die Zahl der Fahrzeuge gesenkt. In der Flotte solle das London Cab vom Hersteller LEVC verstärkt zum Einsatz kommen – da es über eine Glas-Trennscheibe zwischen Fahrer und Fahrgast verfüge,
  • Rufbusse: Der Berliner On-Demand-Rufbus Berlkönig wird bis zunächst zum 19. April den Betrieb einstellen und kostenlose Fahrten ausschließlich für medizinisches und pflegerisches Personal anbieten. Es sollen nie mehr als drei Fahrgäste gleichzeitig in den Vans sitzen.
  • Carsharing: Hier ist offenbar mehr Zuversicht oder weniger Parkraum vorhanden. Der kilometerbasierte Carsharer Miles bleibt bei sinkender Nachfrage weiterhin mit 2.000 Fahrzeugen auf den Straßen. Regelmäßige Desinfektion der Autos habe nun höchste Priorität, so wird betont. Bei den fusionierten Pionieren Share Now (DriveNow & Car2Go) läuft der Betrieb weiter. Die Nutzung werde wieder ansteigen, wenn die Kontaktsperre aufgehoben werde. So bleibt auch die Volkswagen-Tochter Weshare mit voller Flotte auf der Straße.

Die schnelle Renaissance des Individual-Autos, die schnell medial beschworen wurde, wird in post-coronalen Zeiten nochmals zu verproben sein. Wenn man sich an Spaziergänge und Radfahren genau so wie an funktionierende Videokonferenzen gewöhnt hat, dann mag man vielleicht sogar weniger Verkehre und weniger emissionsschädliche Verkehre beobachten - mit der Freude an Bewegung und dann auch wieder am ÖPNV.