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11.10.2017
Fahrradfahren bietet Vorteile für die Gesundheit. Und schiebt das Ego. Unpsychologischer: Noradrelanalin und Dopin. Hier der nachdenkliche Beweis, dass sich Radfahrer »erleuchtet« fühlen.
BICICLI ist schon immer überzeugt gewesen, dass das Fahrrad fahren in der Stadt einige Vorteile mit sich bringt – und dies nicht für den Radler, sondern für alle anderen Verkerhrsteilnehmern und die Stadt. Doch seien wir ehrlich: Fahrrad fahren birgt auch Risiken, wenn andere Verkehrsteilnehmer unaufmerksam sind oder wenn man Lärm und schlechter Luft ausgesetzt ist.
Benjamin Kaiser rbbinfo-Redakteur fährt täglich mit dem Fahrrad zum RBB-Turm am Kaiserdamm und findet die Luft dort schlecht. Mit jedem Atemzug hat er das Gefühl, sich seine Lunge zu vergiften. Mir geht es ähnlich, wenn ich in Kreuzberg oder Mitte hinter einem Bus, insbesondere einem Sightseeing-Bus, stehen bleibe oder an einer Hauptverkehrsstraßen entlang fahren muss. An sechs Stellen in Berlin wurde dieses Jahr der festgelegte Grenzwert für Stickstoffdioxid von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft bereits überschritten. Und: Stickstoffdioxid hat eine ähnliche Wirkung auf den menschlichen Körper wie Reizgas.
Dr. Christian Witt ist Lungenfacharzt an der Charité und bestätigt, dass Stickstoffdioxid bestehende Entzündungssituationnen wie Asthma und Bronchitis bei Patienten verstärkt. Was das Gas mit gesunden Menschen macht, ist bisher noch schwer zu sagen. Einzig klar ist, dass aufgrund der Luftverschmutzung mehr als 1.000 Menschen in Deutschland pro Jahr früher sterben. Daher gälte es, Hauptverkehrsstraßen zu meiden oder wenigstens am Rand zu fahren. Denn schon 100 Meter von der Hauptstrasse entfernt, sinkt die Stickstoffdioxidbelastung auf 1/5 der Konzentration. Also das nächste Mal anstatt an der Straße des 17. Juni zu fahren lieber einen Abstecher durch den viel schöneren Tiergarten machen!
Mentale und physische Gesundheit der Radfahrer
Die schlechte Nachricht ist, dass man durch die schlechte Luft angeblich etwas Lebenszeit einbüßen muss. Doch die gute Nachricht gleich hinterher: die positiven Aspekte des Radfahrens übersteigen die negativen um ein Vielfaches und drücken sich in einer besseren mentalen und physischen Gesundheit von Fahrradfahrern aus und in der steigenden statistischen Lebenserwartung.
Doch dürfen wir nicht leugnen, dass es in der Stadt auch Unfallshotspots gibt. Straßen, auf denen Radfahrer keinen Platz haben, so wie auf der Hermannstrasse in Neukölln, auf der erst kürzlich ein 56-Jähriger Radfahrer tödlich verunglückt ist, als ein Porscher-Fahrer ohne zu schauen die Fahrertür aufriss. Doch besonders diese Unfallstellen möchte das 1. Berliner Mobilitätsgesetz entschärfen und den Radverkehr in der Stadt verbessern: durch die Vision Zero, dass keine Person mehr im Straßenverkehr ihr Leben lassen muss.
Sag, wie hälst du es so mit dem Helm?
In der Sicherheitsdebatte kreist das Thema immer wieder um die Gretchenfrage des Helms. Dieser kann im schlimmsten Fall Schädelhirntraumata verhindern, sagt auch Dr. Ingo Schmehl, Unfallchirurg an der Charité. Eine Studie der Charité zeigt außerdem, dass alle Radfahrer, die zwischen 2000-2009 an den Folgen eines Schädelhirntraumas gestorben sind, keinen Helm getragen haben. Für mich ist das der Moment, an dem ich überlege, welches Modell ich mir bald zu lege. Heute Morgen auf dem Weg zur Arbeit war ich in einer Fahrradgruppe von zehn Radlern am Alexanderplatz die einzige, die keinen Helm trug.
Doch ich bin mir auch bewusst, dass es durch einen Helm nicht allgemein sicherer wird. Ein großes Problem ist das hohe Konfliktpotenzial im Straßenverkehr. Warum können wir uns nur so schwer in die anderen Verkehrsteilnehmer hineinversetzen? Der Verkehrspsychologe Dr. Peter Kiekeland erklärt die Aggressivität im Straßenverkehr so, dass alle ein Ziel haben, sie wollen von A nach B kommen und werden von anderen gestört, die ihnen dabei in die Quere kommen. Dabei identifizieren sie sich ausschließlich in der Rolle, also mit dem Verkehrsträger mit dem sie gerade unterwegs sind und können sich nicht in die Lage des Gegenübers versetzen.
Die erleuchteten FahrradfahreInnen
Da der Fahrradfahrer physisch sehr aktiv und sehr aufmerksam ist, wenn er fährt, hat er subjektiv das Gefühl, wortwörtlich erleuchtet zu sein. Kurz: Ihn oder sie müssen doch nun wirklich jeder sehen... Man fühlt sich stark, aktiv, rasant und hellwach und denkt, dass das ja unweigerlich von allen auch so gesehen wird. Deswegen legt er manchmal einen zu selbstbewusstes Fahrstil oder zu robustes Verhalten im Straßenverkehr an den Tag.
Dieses »Leuchten« hat Einfluss auf unsere mentale Gesundheit. Prof. Andreas Strahle (Psychiatrie der Charité) stellt eine vermehrte Verfügbarkeit von Noradrenalin und Dopin bei Fahrradfahren fest, die aktiv Stress abbauen. Doch am bemerkenstwertesten ist eine Pilotstudie mit hochintensivem Intervalltraining bei Patientinnen, die unter Panikstörung litten. Nach nur 10 Tagen konnten ähnliche Ergebnisse festgestellt werden wie nach 10 Wochen Therapie oder medikamentöser Behandlung.
Der Bericht von Benjamin Kaiser zeigt einmal mehr, dass das Fahrrad nicht nur ein praktisches Verkehrsmittel ist, sondern auch etwas mit Körper und Geist macht. Da schönste wäre: je mehr aufs Fahrrad umsteigen, desto sicherer würde es für alle. Jeder Kilometer auf dem Rad macht Berlin ein kleines bisschen sauberer. Und wir kommen mit jedem Fahrradfahrer und mit jeder Fahrradfahrerin unserer Vision der #cyclingsociety - der fahrradfahrenden Gesellschaft ein Stück näher.