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17.06.2021
Warum die Mobilitätswende maßgeblich von Immobilien- und Stadtentwicklung abhängt thematisiert der Artikel "Platz für Pedale" in der Süddeutschen Zeitung.
Bequem und sicher durch Berlin radeln, das soll bald möglich sein. Denn in der deutschen Bundeshauptstadt wird eine der längsten Radschnellverbindungen Deutschlands entstehen. Sie soll Berlin auf einer Länge von 38 Kilometern durchqueren, von der östlichen Stadtgrenze in Marzahn-Hellersdorf bis nach Spandau im Westen. Wo genau die Trasse verlaufen wird, steht noch nicht fest.
Klar ist aber schon jetzt, dass die Bornitzstraße im Bezirk Lichtenberg zumindest in besagtem Korridor liegt. „Das war nicht der Anlass, aber ein weiterer guter Grund, sich Gedanken über Stellplätze, Duschen, Spinde und eine Self-Service-Station zu machen“, sagt Martha Wanat. Sie ist nicht nur Co-Geschäftsführerin von Bicicli, einem auf Nachhaltigkeit ausgelegten Fahrrad-Shop, sondern auch Gründerin der Mobilitätsberatung Mond.
Auf der Bornitzstraße ist Wanats Firma im Auftrag des Immobilienentwicklers Quantum tätig, der dort zwei Bürokomplexe baut. Die beiden Unternehmen arbeiten auch bei Projekten in Hamburg und Düsseldorf miteinander. „Um Young Professionals zu gewinnen, müssen Arbeitgeber heute mit besonderen Qualitäten punkten, dazu zählen auch Mobilitäts- und Infrastruktur-Konzepte speziell fürs Fahrrad“, sagt Wanat. War vor wenigen Jahrzehnten fast nur eine gute Anbindung für das Auto wichtig, sind heute öffentliche Verkehrsmittel und eine gute Erreichbarkeit mit dem Fahrrad essenzielle Standortfaktoren.
Bislang war das Fahrrad als alltägliches Verkehrsmittel vor allem in den zentralen Quartieren der Großstädte Thema. So hat Bicicli für das Sony Center am Potsdamer Platz eine Mobilitätsstrategie entwickelt. „Mit 80000 Menschen, die dort im Umkreis von fünf Gehminuten arbeiten, ist das Potenzial enorm“, sagt Wanat. Andererseits seien an solchen Orten auch die Herausforderungen beachtlich: „Es fehlt dort an Fahrradstellplätzen, vor allem an sicheren. Das Verkehrsaufkommen ist hoch, und der ohnehin schon knappe Platz für Radfahrer darf durch eine geplante Straßenbahn-Haltestelle nicht noch weiter eingeschränkt werden.“
Bicicli hat für den kanadischen Immobilienbetreiber Oxford Properties den Infrastrukturbedarf im und rund um das Sony Center für die Abstimmung mit Bezirk und Senat ermittelt. Für den Auftraggeber wiederum wurde geprüft, welche Infrastruktur dort gefragt ist, etwa Mobilitätsstationen mit Fahrrädern, E-Bikes, E-Scootern und E-Rollern. Bicicli untersuchte zudem, welche Innen- und Außenflächen sich für neue Mobilität eignen, beispielsweise das Parkhaus, das bisher nur für Kfz genutzt wurde, aber auch Eingangshallen und ebenerdige Flächen nah an der Gastronomie. Zudem sind für die im Sony Center sitzenden Arbeitgeber individuelle Dienstrad-Programme geplant.
Die künftige Radschnellverbindung quer durch Berlin wird nur einige hundert Meter vom Potsdamer Platz entfernt verlaufen. Je nach Routenverlauf wird die geplante Radschnellverbindung etwa 100 000 bis 140 000 Arbeitsplätze anbinden, in ihrem Einzugsgebiet leben insgesamt mehr als 500 000 Menschen. Mit dieser und weiteren Routen erweitert sich einerseits das Velo-Einzugsgebiet von dort Richtung Stadtrand. Anderseits sind Immobilien außerhalb des Zentrums, so wie die Bürokomplexe in Lichtenberg, damit deutlich besser per Fahrrad ans Zentrum angebunden. Damit wird das Velo auch an der Peripherie nicht nur bei der Planung von Büros interessanter, sondern auch für Wohnhäuser oder ganze Quartiere. „Das Interesse an Radflotten- und Dienstrad-Programmen ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen“, sagt Wanat.
Auch die Berliner Wohnungsbaugesellschaft Gewobag setzt immer stärker auf das Fahrrad: Den Anfang machte das Unternehmen mit Dienstrad-Leasing samt Vor-Ort-Wartung, Vollkaskoversicherung und Mobilitätsgarantie. Hierfür wurde auf 320 Quadratmetern auch eine mit dem Deutschen Fahrradpreis 2020 prämierte Fahrradgarage eingerichtet, die mit Lademöglichkeiten für Pedelecs, Sanitärbereich samt Duschen und Schließfächern sowie einem Werkstattbereich ausgestattet ist. Bis zu 170 Pendlerinnen und Pendler können ihre Räder dort abstellen. Während der Pandemie blieb die Nachfrage trotz Home-Office konstant groß. Viele stiegen vom Nahverkehr aufs Rad um. Diesen Trend hat die Gewobag durch eine Zuschuss-Politik fürs Velo unterstützt sowie durch Nutzungsgebühren für Kfz-Stellplätze.
Das Konzept rechnet sich für die Wohnungsbaugesellschaft auch, weil Anrainer wie der Landesrechnungshof externe Plätze anmieten können. Im nächsten Schritt sind die Mieterinnen und Mieter dran, die Mobilitätsstationen bekommen sollen. Unter anderem ist ein Fahrradparkhaus für rund 250 Mieterinnen, Mieter und Gewerbetreibende mit Fahrrad-Flotten geplant, nutzbar per App. Ihre Bestandsimmobilien wird die Ge- wobag in den kommenden Jahren teils um- bauen und nachverdichten. Dabei sollen die Häuser um sogenannte „Residential Mobility Hubs“ für ihre 130 000 Mieterinnen und Mieter ergänzt werden. Von der Wohnungsbaugesellschaft betriebene Stationen, an denen man verschiedene Verkehrsmittel ausleihen kann.
Ob Bürogebäude oder Wohnhäuser, auch im Neubau wird das Fahrrad zunehmend integriert. Zum Beispiel bei Bonava, Deutschlands größtem Projektentwickler: „Unser Kölner Wohnquartier Simonskaul ist eines von mehreren, bei dem das Fahrrad eine zentrale Rolle für das Mobilitätskonzept spielt“, sagt Regionsleiter Martin Venjakob. Auf dem Areal werden sieben Häuser mit 387 Wohnungen gebaut. Die Zufahrtsstraße zum Wohngebiet erhält einen Fahrradschutzstreifen. An den Häusern sind 864 Stellplätze für Velos geplant, davon 24, die besonderen Schutz bieten. Ein Car-Sharing-Angebot soll die Zahl der Pkw im Quartier reduzieren.
Parallel dazu wird den Anwohnern öffentliches Bike-Sharing zu vergünstigten Konditionen angeboten. Dazu kommen ein quartierexklusives Lastenrad-Sharing und eine öffentlich zugängliche Reparaturwerkstatt. Außerdem stehen jeder Hausgemeinschaft zwei Handkarren zur Verfügung. „Vor allem in urbanen Räumen sind solche Ergänzungen zum Auto sehr gefragt“, sagt Venjakob. So hat Bonava im März auch selbst eine Job-Rad-Offensive gestartet. Ziel ist es, so viele Mitarbeiter wie möglich vom Auto auf das Fahrrad zu bringen. Egal ob Lastenrad, Trekkingbike, Hollandrad oder E-Bike – alle Mitarbeiter können sich ihr persönliches Wunschrad zusammenstellen und dann über die Firma leasen.
„Sharing-Angebote vom Auto über das Fahrrad bis zu Rollern schaffen mehr qualitativen Spielraum bei der Planung von Wohnraum“, sagt Euroboden-Gründer Stefan Höglmaier. „Flächen, die früher für Parkplätze benötigt wurden, können dank intelligentem Mobilitätskonzept attraktiver gestaltet und vielfältiger genutzt werden.“ Eine konstruktive Auseinandersetzung mit der Kommune über die Stellplatzverordnung lohne sich meist. So hat Euroboden für das Hölzer-Bräu-Areal mit 65 Wohnungen in Ebersberg bei München analysiert, wie das Quartier zu Fuß und mit dem Rad an die Umgebung angebunden ist, welche Rolle der Nahverkehr samt nahegelegenem S-Bahnhof spielt.
Stellplätze für Velos sind dort ebenso Teil des Konzepts wie Mobilitätsstationen, in denen neben ausleihbaren Lastenrädern und Pedelecs auch weitere Gegenstände wie Fahrradanhänger und Trolleys Platz finden. In Berlin-Marzahn baut das Unternehmen 124 Wohnungen in zwei sechsgeschossigen Riegeln, die parallel zueinander stehen. Dazwischen befindet sich ein begrüntes Plateau, das von allen Bewohnern genutzt werden kann. Darunter liegt der tagesbelichtete Shared Space für Mobilität – mit Stellplätzen für Fahrräder und Pkw, Ladestationen für ihre E-Fahrzeuge sowie einer Station zur Abholung und Aufgabe von Paketen.
Statussymbol ist das Fahrrad schon seit vielen Jahren. Mittlerweile schmücken sich auch gehobene Adressen mit diesem Glanz. So baut Pandion im Düsseldorfer Medienhafen mit dem „Pandion Rise“ ein 70 Meter hohes Bürohochhaus, das nicht bloß Platz für rund 300 Velos bietet: Die Fahrradgarage wird zum Showroom, in Form einer Glasbox, prominent im Erdgeschoss untergebracht. „Dafür haben wir Bürofläche geopfert“, sagt Projektentwickler und Niederlassungsleiter Klaus Küppers. „Aber das ist es wert, denn das Fahrrad als Qualitätsmerkmal ergänzt sich hier gut mit anderen Elementen wie dem grünen Innenhof und dem begrünten Skygarten.“
In direkter Nachbarschaft baut Pandion noch ein Gebäude mit 90 Wohnungen. Die Stellplätze für Räder sind dort weniger prominent platziert, aber Zweiräder dennoch ein wichtiger Teil des Konzepts: Für teure Velos stehen eigens gesicherte Lagerräume zur Verfügung, fünf E-Lastenräder werden zum Sharing angeboten, buchbar über die Gebäude-App. „In zentralen urbanen Lagen“, so Küppers, „ist das Fahrrad zum festen Bestandteil von Immobilien geworden.“
Von Lars Klaaßen