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brand eins 2018/1

25.02.2018

»Manifest der nächsten urbanen Mobilität«

von Stephan A. Jansen

Das Magazin »brand eins« hat im Januar (Schwerpunkt »Reset«) zwei Beiträge zur Mobilitätswende: Andreas Knie von InnoZ und BICICLI-Co-Gründer Stephan A. Jansen. Jetzt hier!

Mobilität wird moralisch. Verkehr scheint derzeit irgendwie immer verkehrt. Dieselskandale, Hersteller-Kartelle, Fahrverbote, Widerstände gegen Infrastruktur und Großprojekte wie Bahnhöfe oder Flughäfen, Arbeitsplatzverluste durch Elektrifizierung und Autonomes Fahren.

Weltweit kommt Bewegung in die Diskussion über das Grundbedürfnis der Mobilität – vom Öffentlichen Nahverkehr, dem Individualverkehr mit Verbrennungsmotoren, Flottenangeboten der Sharing Economy bis hin zum Fahrrad.

Über Sackgassen, Kreisverkehre und Spielstraßen in einer aufgeregten Mobilitäts-Debatte. Prognosen, Beispiele, Maßnahmen und ein erstes Manifest für eine positive Mobilitätswende - zwischen vorsorgenden Stadtentwicklung, Immobilienwirtschaft, betrieblicher Vorsorge, datenbasierter Digitalisierung und einem neuen Lebensstil.

Und wo? Mit dem Rad oder zu Fuss zum Kiosk, wo es die brand eins immer gibt. Und dann geniessen Sie die Lektüre in der gesparten Zeit, die Sie nicht im Stau verbrachten.

Manifest der nächsten urbanen Mobilität – sechs (einfache) Maßnahmen

1. Richtet das Dienstwagen-Privileg neu aus!

Rund 80 Prozent der betrieblichen Autoflotten in Deutschland – auch die der Mietwagen-Anbieter – bestehen aus Dieselfahrzeugen. Dienstwagen werden steuerlich begünstigt und somit subventioniert. Zukünftig sollten ausschließlich jene alternativen Antriebe privilegiert werden, die sich im Realbetrieb bereits bewährt haben. Dies bedeutet auch eine kritische Prüfung der Elektromobilität, deren Ökobilanz im Gesamtlebenszyklus noch immer mehr als fraglich ist – schon heute kann man sich den Batterie-Krisengipfel 2040 bildlich vorstellen.

2. Erweitert die Steuerprivilegien auf Mobilitätsbudgets!

Die Generation Y will Autos nicht mehr besitzen, sondern bestenfalls teilen. Das ist eines der Ergebnisse einer »Handelsblatt«-Umfrage bei Dax- und Beratungsunternehmen vom August 2017. Mit der Entscheidung, Diensträder steuerlich wie Dienstautos zu behandeln, wird das Spielfeld erweitert. Aber Ziel muss es sein, ein verkehrsträgerneutrales Mobilitätsbudget – ob Bahncard, Rad oder Auto – dem Arbeitnehmer zu überlassen. Dazu müssten Firmen eine eigene Mobilitätsstrategie inklusive Finanzierung, Versicherung und Service entwickeln, analog zum Fuhrparkmanagement – egal ob mit eigenen Fahrzeugen oder durch externe Dienstleister.

3. Nutzt die Möglichkeiten der öffentlichen Beschaffung!

Die Elektroprämie gilt als gescheitert, weil Nachfrage, Angebot und Infrastruktur nicht zusammenzubringen waren. Doch die Umstellung ließe sich leicht durch die öffentliche Beschaffung für die Fuhrparks steuern. Die Politik – also die viel fahrenden Volksvertreter – zeigt hier allerdings überraschend wenig Initiative. Das von der Bundesregierung selbst gesteckte Ziel des „Regierungsprogramms Elektromobilität“ aus dem Jahr 2011, wonach mindestens zehn Prozent der neuen Dienstwagen emissionsarme Fahrzeuge sein sollen, erreichten im Jahr 2016 nur 6 von 17 Bundesministerien und -behörden. Das Kostenargument zieht nicht: Mit der so geförderten Nachfrage könnten die Stückkosten sinken.

4. Investiert in den ÖPNV – und rüstet um!

Linienbusse fahren und fahren – mit Diesel. Zwar gibt es diverse Pläne, das zu ändern, aber noch wenig beherzte Initiativen. Dabei wären Investitionen besonders im urbanen Raum überschaubar. Elektrobusse im Nahverkehr kosten zwar Geld – aber es bilden sich bereits Städte-Allianzen. In Hamburg wurde die Testphase mit 14 E-Bussen gerade beendet, und die europaweite Ausschreibung für 60 Fahrzeuge läuft, denn ab 2020 sollen nur noch Busse ohne Emissionen angeschafft werden. Wiesbaden will schon 2022 den ersten emissionsfreien öffentlichen Nahverkehr realisieren. Der Deutsche Städtetag begrüßt die Aufstockung des Mobilitätsfonds für Städte und Gemeinden auf eine Milliarde Euro. Das ist überschaubar, und angesichts der etwa 1,5 Milliarden Euro, die das Mineralöl-Privileg für Diesel-Kraftstoffe den Staat pro Jahr netto kostet, auch machbar. 100 Millionen Euro wurden eher nebenbei beim Diesel-Gipfel für den Kauf von Elektrobussen lockergemacht, da geht noch was.

5. Baut die Lade-Infrastruktur dort, wo Menschen arbeiten!

Alle reden über E-Mobilität – aber von den für 2020 angestrebten eine Million Elektrofahrzeugen fuhren Anfang 2017 gerade mal 34 000. Hauptproblem: die Lade-Infrastruktur. 300 Millionen Euro Fördermittel hat die Regierung dafür bereitgestellt. Doch meist wird in der heimischen Garage aufgeladen, nur 10 bis 20 Prozent der E-Mobile werden heute an den knapp 3800 öffentlich zugänglichen Stationen geladen. Herstellerunabhängige Apps zur Lokalisierung inklusive Preisvergleich sind noch rar. Die Ladesäulen sind laut Lichtblick „oft kompliziert und teuer“.

Das wird lösbar sein. Und damit ließen sich auch die Angebote angleichen, die von kostenlos bis zu 67 Cent reichen, im Vergleich zum Haushaltsstrom von rund 29 Cent pro Kilowattstunde. Das wäre ein Anfang, aber die Ladezeiten und die Parkraumbewirtschaftung im öffentlichen Raum bleiben Herausforderungen. Die naheliegende Lösung: Ladung beim Arbeitgeber. Dort ist in aller Regel Platz und Ladezeit vorhanden.

Ladestation-Betreiber wie Tesla, Energieversorger wie Innogy, die inzwischen offiziell kooperierende Autoindustrie, die Arbeitgeber und die Regierung könnten sich auf Standards und Normen sowie eine gemeinsame Finanzierung einigen. Und die E-Bike-Fahrer würden sich auch freuen, wenn sie ihre elektrischen Diensträder nicht weiter zu Hause auf eigene Kosten aufladen müssten.

6. Denkt die Sharing-Economy bedarfsgerechter!

Geländewagen sind wohl deswegen so erfolgreich, weil sie für ganz unterschiedliche Zwecke taugen. Cleverer wäre es, man hätte für bestimmte Anlässe bestimmte Fahrzeuge – und noch lieber welche, um die sich andere kümmern.

Die Anfänge des Car-Sharing haben allerdings mehr Parkplatz-Suchverkehr, kaum ein Umdenken der Nutzer und auch keine wirkliche Wirtschaftlichkeit gebracht. Und auch die Anfänge des Rad-Sharings zeigen bisher: keine Wirtschaftlichkeit, zweifelhafte Datensammelei, Vandalismus, Überangebot – und die Frage nach der Legitimität für kostenlose Nutzung des öffentlichen Raums für private Geschäftsmodelle.

Inzwischen nehmen stationsgebundene und von Arbeitgebern verantwortete Flotten im urbanen Raum zu – ob Dienstfahrzeuge, Logistiker, Elektro-Roller oder Rad-Flotten. Und daraus ließe sich in Kombination mit den öffentlichen Flotten-Angeboten eine neue intermodale Mobilität entwickeln, wie wir sie von den meist skandinavischen Vorreitern kennen.

Zugang wird wichtiger als Besitz. Doch für die physischen Verkehrsträger im öffentlichen Raum braucht es auch Verantwortung und Nachhaltigkeit, nicht nur Verfügbarkeit. Deshalb bauen Apple und Google keine Autos oder Busse, sondern autonome Systeme. Alles andere ist doch noch komplizierter.

Fazit: Gegen den rasenden Stillstand.

Im Ausland wurden bereits kommunale wie nationale Fahr- bzw. Einfuhrverbote für Diesel- und weitere Verbrennungsmotoren verabschiedet. Sicher ist: Die deutsche Kompetenz bei der Motorisierung wird künftig immer weniger gefragt sein.

Die Medien haben die Automobilindustrie unter Elektroschock als erschreckend antriebslos beschrieben. Der Transport-Wissenschaftler Stephan Rammler nennt seine Streitschrift gar „Volk ohne Wagen“. Dabei wird in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen mehr als 130 Jahre nach der Erfindung des Verbrennungsmotors so viel und vielfältig experimentiert wie seit den Anfängen nicht mehr.

Doch die öffentliche Erregung zeigt vor allem die aufgestaute Systemrelevanz der Auto-Industrie. Aus der Wissenschaft kommen bereits Vorschläge, Bad Banks für die Automobilzuliefererindustrie einzurichten – jedenfalls ist die deutsche Wirtschaft offensichtlich bei der Schlüsseltechnik für die Mobilitätswende nicht mehr führend. Die jahrzehntelangen Erfolge haben Spuren hinterlassen. Nun gilt es wieder aufzuholen, durch eine Vielzahl von sozio-technologischen Innovationen.

„Rasender Stillstand“ hat der Stadtarchitekt Paul Virilio das genannt, wenn alle daran arbeiten, dass sich nichts bewegt. Dieser Begriff drängt sich angesichts der aktuellen Lage auf. Doch wenn man mit den Strategen, Geschäftsmodell-Innovatoren und Forschern in den Mobilitätsbranchen spricht, und das sind eben auch die Verkehrsverbünde und nun auch die Fahrradwirtschaft, dann kann man erkennen: Es wird vieles neu gedacht – und eine ganz neue Mobilität ist auch hierzulande möglich. ---

Text: Stephan A. Jansen

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